Marcus Mund erforscht an der Universität Klagenfurt die verschiedenen Dimensionen der Einsamkeit – ihre Entwicklung über die Lebensspanne hinweg, ihr Dasein in Partnerbeziehungen und das Zusammenspiel zwischen Persönlichkeit und Sozialumfeld.

„Ein Wunsch, den niemand kennt, kann auch niemand erfüllen“

Psychologe Markus Mund spricht im Interview über den Unterschied, allein oder einsam zu sein, wer von Einsamkeit betroffen ist und was wir dagegen tun können.

Hat sich das Einsamkeits-Empfinden in der Bevölkerung  durch den gesellschaftlichen Wandel mit Social Media und kleineren Familienstrukturen verändert oder verstärkt?
Mund:
"Das ist eine sehr spannende Frage, die aber auch gleichzeitig sehr schwer zu untersuchen ist. Um solche möglichen Trends oder Entwicklungen festzustellen und am Ende sagen zu können, ob Menschen heute einsamer oder weniger einsam sind als Menschen in früheren Generationen brauchen wir nämlich konkrete Daten zum Einsamkeitsempfinden dieser früheren Generationen - und das ist relativ selten, da Einsamkeit 'erst' seit ca. 1980 tatsächlich wissenschaftlich beforscht wird. Einige wenige Studien gibt es jedoch schon, die sich mit dieser Frage beschäftigt haben. Die Ergebnisse dieser Studien legen nahe, dass Kinder heute genauso einsam sind wie Kinder von vor 20 Jahren; für Jugendliche gibt es widersprüchliche Befunde: Eine Studie hat gezeigt, dass Jugendliche heute einsamer sein könnten als Jugendliche früher, eine andere Studie hat genau das Gegenteil gezeigt. Für das junge Erwachsenenalter finden sich leichte Zunahmen in der Einsamkeit über die letzten 43 Jahre hinweg, wobei dieser Trend in den USA stärker als in Europa ausgeprägt zu sein scheint. Für das mittlere Erwachsenenalter liegen leider keine Studien vor, Befunde zum höheren Erwachsenalter (60+) legen nahe, dass Einsamkeit in dieser Altersgruppe in den letzten 20 Jahren gleich geblieben oder sogar gesunken ist.
Es könnte aber sein, dass Einsamkeit heutzutage weniger stigmatisiert ist und Menschen deshalb mehr und auch öffentlich darüber sprechen---was eine durchaus positive
Entwicklung wäre. Deshalb wäre es möglich, dass Einsamkeit heute häufiger zu sein scheint; möglicherweise haben gesellschaftliche Trends hin zu mehr Offenheit und Eingestehen von Verletzlichkeit aber auch dazu beigetragen, die Dunkelziffer im Bereich der Einsamkeit etwas abzubauen."

Wie verbreitet ist die Einsamkeit?
Mund: „Studien legen nahe, dass im deutschsprachigen Raum etwa 8% bis 12% der Menschen als einsam eingeschätzt werden können.“

Gibt es „Risikogruppen"?
Mund:
„Die konkreten Gründe für Einsamkeit unterscheiden sich stark. Daher ist es schwer, Risikogruppen zu definieren. Studien zeigen aber, dass sowohl ältere Menschen als auch Jugendliche stärker betroffen sind. Außerdem haben sozial isolierte Personen ein höheres Risiko, genauso wie Personen mit geringerer Bildung und/oder geringem Einkommen und Alleinerziehende.
Aber: Demografische Variablen können nur zu einem sehr geringen Anteil ein unterschiedliches Einsamkeits-Empfinden erklären, genauso wie äußere Merkmale; z.B. gibt es keine Zusammenhänge zwischen Einsamkeit und der Zeit, die Personen alleine verbringen, der Anzahl sozialer Kontakte oder der Häufigkeit von täglichen sozialen Interaktionen.“

Alleinsein wird nicht immer als unangenehm empfunden, oft sogar als wohltuend.
Mund:
„Alleinsein ist selbstgewählt. Man kann sich bewusst für eine Zeit von anderen zurückziehen, das Alleinsein aber auch jederzeit wieder beenden. Bei der Einsamkeit geht das leider nicht. Für Kinder und Jugendliche ist Alleinsein häufig noch mit Einsamkeit verbunden. Im Laufe des Jugendalters wird es aber in der Tat zunehmend als positiv wahrgenommen.“

Warum fühlen manche sich trotz eines sozialen Umfelds, trotz Freundschaften einsam?
Mund:
„Das kann dann passieren, wenn Personen das Gefühl haben, dass diese Beziehungen nicht nah genug oder nicht emotional intim genug sind. Die Beziehungen fühlen sich dann leer und oberflächlich an und können das Bedürfnis nach Nähe und Vertrauen nicht erfüllen. Das kann in jeder Art von Beziehung vorkommen, auch in Partnerschaften.“

Was können einsame Menschen tun?
Mund: „Für einsame Menschen ist es häufig schwierig. Einsamkeit geht häufig einher mit Scham, Traurigkeit und einem geringen Selbstwert. Ich möchte daher die Perspektive etwas verändern: Wir können die Einsamkeit von Freund*innen, Partner*innen und anderen engen Bezugspersonen sehr genau einschätzen. Wir können ganz gut sagen, wer aus unserer Umgebung einsam oder zumindest von Einsamkeit bedroht ist. Anstatt die ganze Verantwortung auf die Personen selbst zu übertragen, können wir also selbst aktiv etwas dagegen tun, auf diese Menschen zugehen, Gesprächsangebote setzen und diese Personen stärker einbinden.
Ganz allgemein gilt aus meiner Sicht der Grundsatz, dass man über die eigenen Bedürfnisse und Wünsche reden sollte. Wenn Sie sich wünschen, zu Weihnachten von Ihren Kindern angerufen zu werden: Kommunizieren Sie das! Ein Wunsch, den niemand kennt, kann auch niemand erfüllen.“

Was kann auf der größeren Ebene die gesellschaftliche Einsamkeit reduzieren?
Mund:
„Was wir benötigen ist ein Blumenstrauß an Maßnahmen, angefangen von niedrigschwelligen Angeboten wie der Telefonseelsorge über Angebote zu gemeinsamen Aktivitäten oder Treffen bis hin zu stärker strukturierten beratenden oder therapeutischen Maßnahmen. Dann wäre sichergestellt, dass für jeden individuellen Bedarf ein Angebot vorhanden ist.
Ich möchte aber auch noch einmal betonen, dass wir selbst eigentlich die beste Maßnahme gegen Einsamkeit sind: Wenn wir anderen Menschen gegenüber offen sind und Personen nicht ablehnen oder ausgrenzen, wenn wir unsere Bedürfnisse kommunizieren und wenn wir in unserem engeren Umfeld aufmerksam miteinander umgehen, wäre schon ein großer Schritt getan.“

Foto: mund

Bildtext: Marcus Mund erforscht an der Universität Klagenfurt die verschiedenen Dimensionen der Einsamkeit – ihre Entwicklung über die Lebensspanne hinweg, ihr Dasein in Partnerbeziehungen und das Zusammenspiel zwischen Persönlichkeit und Sozialumfeld.