Ein Schicksalsschlag, ein Fehler, ein plötzlicher Verlust – und die Wohnung ist weg. Das Netzwerk Wohnungssicherung Innviertel gibt Halt, wenn alles wankt, und hilft Menschen, wieder festen Grund zu finden.
Ende Mai fielen Dragan Stanojević* gleich zwei Steine vom Herzen: Er konnte in eine neue Wohnung einziehen. Und die Operation seiner Tochter verlief gut. Natürlich, die drohende Obdachlosigkeit erschien ihm fast unbedeutend neben der Angst um seine Tochter. „Milena* hat mir am meisten Sorgen gemacht“, gesteht der vierfache Vater.
Der 53-Jährige hat viel verloren: Vor eineinhalb Jahren starb seine Frau. Wenig später stand er ohne Wohnung da. Von da an war sein Alltag geprägt von unzähligen kleinen Bränden, die er ständig löschen musste – gesundheitliche Probleme seiner Töchter, die alle an einer schweren Erbkrankheit leiden, der Trauerprozess und die Wohnungssuche.
„Nach dem Verlust meiner Frau wurden meine Töchter ruhiger“, erinnert er sich. „Sie haben mich sehr unterstützt.“ Aus seiner Stimme klingt tiefe Dankbarkeit und Liebe. Stolz zeigt er ein Familienfoto.
Ein neuer Anfang – trotz aller Verluste
Drei Jahre lang lebte Stanojević in einer Genossenschaftswohnung. Dann kam die Nachricht: Auszug in zwei Wochen – er hatte den Vertrag nicht verlängert. „Ich dachte, das passiert automatisch“, sagt er. Er fand schließlich ein neues Zuhause in einem kleinen Ort im Bezirk Ried. Endlich schien Ruhe einzukehren. Doch nach sieben Monaten war alles vorbei: Der Vermieter kämpfte mit persönlichen Problemen, das Haus stand zum Verkauf.
In dieser Situation wandte er sich an die Caritas. Das Netzwerk Wohnungssicherung hilft im Innviertel Menschen, ihr Zuhause zu behalten oder eine neue Bleibe zu finden. Sozialbetreuer Maximilian Freyer nahm sich um den Braunauer an – und konnte erstmals auf neue Möglichkeiten zurückgreifen:
„Früher konnten wir nur helfen, wenn Mietrückstände oder Delogierungen drohten“, erklärt Freyer. „Jetzt setzen wir auf Housing First.“ Das Konzept stammt aus der US-amerikanischen Sozialpolitik und ist europaweit schon weiter verbreitet ist. Derzeit wird es auch in Österreich verstärkt umgesetzt. Menschen bekommen dadurch ohne Vorbedingungen direkt eine eigene Wohnung.
Housing First – ein selbstbestimmter Weg
Remiza Traubenek, die Leiterin des Netzwerks, beschreibt den Paradigmenwechsel: „Bei den bestehenden Angeboten zu Krisen- und Übergangswohnen mietet der Träger die Wohnplätze an und vermietete sie weiter. Um dort wohnen zu dürfen, musste man Auflagen erfüllen, z.B. eine regelmäßige Betreuung in Anspruch nehmen.“ Das macht den Menschen abhängig. Zusätzlich galt er zudem noch immer als wohnungslos. „Wir waren gleichzeitig Vermieter und Sozialarbeiter. Diese Doppelrolle hat die Beziehung belastet, die es aber braucht, um gut sozialarbeiterisch zu wirken.“
Housing First trennt Hilfe und Wohnraum klar: Den Menschen wird eine eigene Wohnung vermittelt, inklusive Mietvertrag. Wer Unterstützung möchte, bekommt sie freiwillig – wer nicht, hat trotzdem eine Wohnung. „Das gibt Menschen die Chance, wirklich unabhängig zu werden“, betont Traubenek.
Sozial gebaut, unsozial vergeben
Für das Team bedeutet das: unermüdliche Suche nach passenden Wohnungen – online, bei Genossenschaften, auf Immobilienportalen und willhaben. „Manchmal wünsche ich mir einfach einen Katalog, den ich nur aufschlagen müsste“, sagt Maximilian Freyer. Doch leistbarer Wohnraum bleibt rar, und Bonitätsprüfungen und negative Bonitätsauskünfte schließen viele aus. „Wir sind froh, dass sich die meisten Genossenschaften an Housing First beteiligen“, sagt der Sozialbetreuer. Auch wenn nicht alle mit im Boot sind. „Es nennt sich sozialer Wohnbau und gleichzeitig bleiben benachteiligte Menschen außen vor“, kritisiert er. „Diese Wohnungen werden von geförderten Genossenschaften mit Steuergeld gebaut – sind aber nicht immer zugänglich für die Menschen, die sie brauchen.“
Viele Vermieter*innen sind dankbar, mit der Caritas einen verlässlichen Ansprechpartner zu haben. „Wir geben den Vermietern eine zusätzliche Sicherheit“, erklärt Freyer. „So können kulante Lösungen erarbeitet oder dringende Fälle vorgezogen werden.“
Auch für Menschen in Not ist diese Begleitung entscheidend. Denn nicht jeder kennt seine Rechte. Immer wieder halten sich Vermieter*innen nicht ans Mietrecht. Sie geben u. a. einwöchige Auszugsfristen oder tauschen gleich das Türschloss.
Jemand packt mit an
Maximilian Freyer begleitete Dragan Stanojević zu den Wohnungsbesichtigungen, unterstützte beim Einzug – und steht ihm weiterhin zur Seite. Sechs Monate lang gibt es Nachbetreuung. Wie schnell es dann schließlich ging, hat den Vater selbst überrascht. „Das hat viel Stress von mir abgenommen“, sagt er. „Gerade, dass es noch jemanden gibt, der sucht und man nicht alles alleine machen muss.“
Das ist der größte Vorteil vom Wohnschirm Housing First. „Vom Erstkontakt bis zur Stabilisierung haben die Menschen eine vertraute Ansprechperson“, weiß Freyer. „Wir können den gesamten Prozess begleiten. Das ist das Um und Auf, um eine langfristige Lösung zu finden.“
Der Bedarf ist groß: In wenigen Wochen landeten beim Netzwerk 30 Delogierungsklagen – so viele wie sonst in einem halben Jahr. Im ersten Halbjahr 2025 konnten bereits zwölf Wohnungen vermittelt werden. Damit wurden 33 Menschen unterstützt und werden weiter nachbetreut. Bei Delogierungen, die nicht verhindert werden können, rettet der Wohnschirm Housing First vor der Obdachlosigkeit.
Neben der aktiven Hilfe zeigt das Netzwerk auch auf, wie sich die Notlagen der Menschen verschärfen: „Housing First läuft seit Jahresbeginn und wird vom Sozialministerium finanziert. In den drei Jahren zuvor kam es in einer abgeschwächten Version zum Einsatz. Wir haben darauf gedrängt, es zu intensivieren und die Richtlinien auszuweiten“, erzählt Traubenek.
Die Unterstützung in diesem Sektor ist unschätzbar. Schon durch den Wohnschirm Miete, der 2022 vom Sozialministerium eingeführt wurde und der eine einmalige Hilfe bei Mietrückständen bietet, konnten viele Delogierungen abgewendet werden…
* Namen von der Redaktion geändert
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