Vier Jugendliche hocken vor Spraydosen, dahinter ist eine Graffiti-Wand.

Wir gewinnt: Respekt macht Schule

Wie leicht wir Menschen in Schubladen stecken, und wie schwer es ist, wieder herauszufinden, erleben Kinder und Jugendliche in den Workshops der youngCaritas hautnah. Früh übt sich, wer in einer solidarischen Gesellschaft leben will.


Die Schüler*innen stehen Schulter an Schulter. Ein dichter Kreis. Arme liegen um die Taille der Nächsten, kein Spalt soll bleiben. Zwei stehen draußen: Alex und Tibor. Ihre Aufgabe – sie sollen in den Kreis hinein.
Alex nutzt das Überraschungsmoment: Er kitzelt seinen Mitschüler, der windet sich – und schon ist Alex drinnen. Tibor hat es schwerer. Die Gruppe ist nun gewarnt und wehrt sich mit Händen und Füßen gegen Kitzel- und Schiebeattacken. Erst nach einigen Minuten des Ringens schafft auch er es, sich durchzukämpfen.

„Ihr hättet es auch einfacher haben können“, sagt Magdalena Hangler, die an diesem Vormittag den Workshop leitet. Denn eigentlich gab es eine klare Regel: Wenn Mario oder Reza einfach nett fragen, ob sie in den Kreis dürfen, sollen die anderen sie hereinlassen. Auf diese Idee kam aber niemand – wie so oft, wenn Magdalena Hangler diesen Workshop durchführt.

Die 30-Jährige ist Referentin der youngCaritas. Sie besucht Schulklassen in ganz Oberösterreich, um mit Kindern und Jugendlichen über Themen wie Zivilcourage, Demokratie oder Fair Fashion zu sprechen. An diesem Tag geht es in der Mittelschule Marchtrenk um das respektvolle Miteinander – ein Thema, das alle fünften Schulstufen gemeinsam durchlaufen. 

„Uns war wichtig, das Thema gleich am Anfang des Schuljahres zu setzen – als Mobbing-Prävention“, erzählt Lehrerin Adrijana Jesic. Der Schulstart war für die Lehrkräfte fordernd. Beleidigungen standen fast täglich auf der Tagesordnung. Einmal wurde eine Sitzpause verordnet. Da kam der Workshop im Oktober genau richtig.

Miteinander? Kann man lernen!

Spielerisch erarbeitet Magdalena Hangler mit den Jugendlichen die vier Stufen der Gewaltfreien Kommunikation. Sie spielen „1, 2 oder 3“ – zu jeder Zahl gibt es Beispielsätze, gesucht wird der mit der neutralsten Beobachtung.
„Drei: Du hängst nur mehr am Handy und checkst gar nichts mehr.“
Viele erkennen, dass hier eine Beleidigung drin steckt. Einige aber stehen trotzdem bei der falschen Zahl. Ein Aha-Moment. „Es ist abwertend, wem zu sagen, dass er etwas nicht checkt?“, grübeln die Jugendlichen.

Die Workshops sind altersgerecht aufgebaut. Für ältere Schüler*innen stehen andere Themen auf dem Programm – etwa Vorurteile, Teilhabe oder Diskriminierung – und es bleibt mehr Zeit für Diskussionen. Ziel ist immer dasselbe: Werte und Haltung zu stärken, die im Lehrplan oft keinen Platz finden. Das eigene Selbstverständnis zu hinterfragen. Aus der eigenen Welt herauszutreten und die eines anderen kennen zu lernen.

„Kinder sind von Grund auf vorurteilsfrei“, sagt Karin Kurowski, Leiterin der youngCaritas. „Sie werden durch ihr Umfeld geprägt. Deshalb ist es so wichtig, früh anzusetzen, um der Stigmatisierung von Randgruppen entgegenzuwirken. Je älter sie werden, desto mehr verliert man sie.“

Entwicklung mit Herz und Körper

In den Workshops erleben die Jugendlichen, wie es sich anfühlt, ausgeschlossen oder benachteiligt zu sein. Sie sitzen im Rollstuhl, bewegen sich mit verbundenen Augen durch den Raum oder sind zu dritt an einem Faden zusammengebunden – und müssen sich einigen, wohin sie gehen: eine will zu einer Freundin, ein anderer muss aufs Klo, die Dritte will telefonieren.
Was banal klingt, wird zur Herausforderung: Wer darf entscheiden? Wer fügt sich? Wenn die eigenen Bedürfnisse auf dem Spiel stehen, zeigt sich, wie schnell es von der Demokratie zur diktatorischen Entscheidung kommen kann - oder ob man des Friedens willen doch einen Kompromiss schließt.

„Diese Erlebnisse bleiben hängen“, sagt Kurowski. „Die Jugendlichen spüren, was es heißt, keine Stimme zu haben. Und sie verstehen, warum Mitbestimmung und Respekt so wichtig sind.“ Insbesondere, wenn sie unfaire Behandlung am eigenen Leib erleben, zeigen sie auf.

Wenn Helfen Schule macht

Nicht nur in Schulen, auch in Jugendgruppen finden die Workshops statt. Oft bleibt es nicht beim Workshop. Manche starten danach eigene Sozialaktionen. Eine Gruppe besuchte ein Flüchtlingshaus, eine andere sammelte im Rahmen der „Aktion Kilo“ Lebensmittel für eine Caritas-Einrichtung.
„Ich erinnere mich an eine Sammelaktion, bei der mir ein 14-Jähriger stolz quer über den Parkplatz und in voller Lautstärke zurief: ‚Schauen Sie, wie viele Binden und Tampons wir schon gesammelt haben!‘“, erzählt Kurowski lachend. Die Hemmungen gegenüber Tabuthemen war verflogen. Es zählte die Begeisterung über das, was die Gruppe auf die Beine stellte. 

Dranbleiben statt drüberstehen

Über Gefühle zu sprechen, ist nicht leicht – besonders mit Jugendlichen. „Unser Vorteil ist, dass wir als Externe kommen“, sagt Kurowski. „Wir haben einen wertfreien Blick auf die Jugendlichen.“ Und auch die Jugendlichen tun sich oft leichter damit, mit Fremden, die sie nie wieder sehen werden, über Dinge zu sprechen, die sie bewegen.

„Natürlich ist es nur ein Impuls, den wir in den zwei Stunden geben können“, sagt Karin Kurowski. Viele Klassen, die mitmachen, buchen aber jährlich einen Workshop. Für die Zeit dazwischen gibt es einen Impuls-Newsletter mit praktischen Ideen für den Unterricht sowie Themenhefte, die helfen, „dranzubleiben“.

Die Themen verändern sich ständig – doch die Haltung bleibt. Die youngCaritas entwickelt ihre Workshops laufend weiter, greift auf, was Jugendliche bewegt, und bleibt am Puls der Zeit. Damit Respekt, Offenheit und Zusammenhalt auch dann eine Stimme behalten, wenn im Netz oft andere Töne laut werden.

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