Frau sitzt vor Landkarte am Computer, dafür ein feministisches Häferl und ein Caritas&Du-Herz

Auf Augenhöhe: Haltung gibt Halt

Wie gelingt es einen Menschen, der Hilfe sucht, aus der Rolle des Bittstellers in die Eigenständigkeit zu begleiten? Wenn jemand zu ihr in die Sozialberatung kommt, hat Doris Crepax eine Stunde Zeit, ihn oder sie zu einem Schritt in die Selbständigkeit zu befähigen. Ob es gelingt, liegt nicht zuletzt stark an der Grundhaltung, mit der sie den Menschen entgegen tritt.


Ein Jahr lang begleitete Doris Crepax eine alleinerziehende Mutter von vier Kindern. Als die Frau zu ihr kam, war sie verzweifelt. Die Ängste, ihre Kinder nicht versorgen zu können, die Überforderung und die psychischen Belastungen hatten bereits körperliche Spuren hinterlassen. 

Für die Sozialberaterin war klar: Der erste Schritt muss sein, den Blick vom Problem zu lösen. „Sonst wird der Horizont zu eng, und man kann keinen Weg nach vorne erkennen“, sagt sie.

Keine leichte Aufgabe. Zu ihr kommen Menschen mit existentiellen Sorgen: unbezahlten Rechnungen, Minus am Konto, der Scham, um Hilfe bitten zu müssen. Viele fühlen sich wertlos, weil sie nichts mehr geben können und keine Selbstwirksamkeit mehr haben - ein Gefühl, das die Gesellschaft oft noch bestätigt.

Gleichwertig, nicht gleichgültig

Menschen, die in die Sozialberatung kommen, fallen oft in ein klassisches Hierarchie-Denken, erzählt Doris Crepax - hier die Bittstellenden, dort die Gebenden. Eine Sichtweise, die dem Grundgedanken der Sozialberatung jedoch völlig widerspricht: „Unsere Hauptaufgabe ist zu beraten“, betont die 47-Jährige. „Wir begleiten Menschen dabei, ihren nächsten Schritt selbst zu gehen. Das gelingt nur mit einem positiven Menschenbild, das den Menschen diesen Schritt auch zutraut.“

Ab der ersten Minute achtet sie darauf, das Gefälle auszugleichen. „Das Wichtigste ist, den Menschen als Ganzes zu sehen“, so die Sozialarbeiterin. Immer wieder kommen alleinerziehende Mütter zur ihr. „Ich mache sie darauf aufmerksam, was sie leisten. Das ist enorm.“ Wenn sie nach den Kindern fragt, richten sich viele regelrecht auf. Stolz erzählen sie, wie gut es in der Schule läuft. „Und dann spreche ich mit ihnen über die strukturellen Ungleichheiten, denen Frauen begegnen. Danach lasse ich sie einfach erzählen – von sich selbst, wie es ihnen geht, was sie bewegt.“ Erst später geht es um finanzielle Unterstützung.

Doch auch die Sozialarbeiterin stößt manchmal an ihre Grenzen - gerade wenn sie mit klassischen Geschlechterbildern konfrontiert ist oder Menschen in ihrer Hilflosigkeit verharren. „Sozialarbeit braucht viel Offenheit und Wertschätzung für andere Lebensrealitäten“, weiß Doris Crepax. Diese Herzensbildung fängt bei einem selbst an: Wo sie früher beim Reisen andere Kulturen kennen lernte und ihre Offenheit kultivierte, findet sie ihre innere Weite heute in der Stille und Selbstwahrnehmung. „Wenn ich mit mir selbst gut bin, kann ich anderen auch mit dieser Güte gegenübertreten“, so die Sozialarbeiterin. 

Wurzeln schlagen statt wegrennen

Insbesondere die Krise sieht sie als Lehrmeisterin. „Schwierige Zeiten bewusst zu durchleben, anstatt vor ihnen davonzulaufen, macht uns empathischer.“ Ihr eigene Krise erlebte sie nach der Geburt ihrer Tochter - eine Zeit, die sie heute als tiefgreifenden Entwicklungsschritt sieht und über die sie offen spricht. „Ein offener Umgang mit Krisen kann im Umfeld viel bewegen. Er nimmt ihnen das Tabu.“

Durch ihr eigenes Wanken findet sie heute besser Zugang zu den Menschen, die sie berät. „Die Qualität meiner Arbeit hat sich dadurch stark gesteigert“, ist sie überzeugt. Mit Hilfe von Coaching und viel Selbstreflexion sagt sie heute: „Ich bin auf Wolke sieben mit mir selbst.“ Nicht in Perfektion, sondern mit den Höhen und Tiefen, die sie zu dem gemacht haben, die sie ist.

Was sie heute besonders sucht, ist Erdung. „Ich habe in den letzten Jahren einen festen Boden in mir gefunden und kultiviert“, sagt sie. „Und auf diesem trete ich den Menschen entgegen – jedes Mal, wenn ich jemandem begegne, der neuen Halt sucht.“

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