Schon jetzt suchen deutlich mehr Menschen Hilfe bei der Caritas in Oberösterreich. Die geplante Reform dürfte diesen Trend noch verstärken. Kann ein System, das Armut verschärft, wirklich Vorbild sein?
Kommentar Stefan Pimmingstorfer Direktor der Caritas Oberösterreich
Im September hat die Bundesregierung den Startschuss für eine Reform der Sozialhilfe gegeben. Die Umsetzung ist ab 2027 geplant. In Oberösterreich sind wir einen Schritt voraus: Hier soll die Novelle ab 1. Jänner 2026 in Kraft treten. Sie beinhaltet Verschärfungen, die kein Leuchtturm, sondern ein Irrlicht sind.
Ein einheitliches System ist grundsätzlich zu begrüßen. Entscheidend ist jedoch, wie es ausgestaltet wird. Und hier sehen wir als Caritas große Gefahren.
Kinder dürfen nicht die Verlierer sein
Besonders problematisch ist die geplante Kürzung der Familienbeihilfe für Sozialhilfe-Bezieher*innen. Damit wird direkt das Existenzminimum von Kindern angegriffen. Wie stimmt das überein mit dem Ziel der Bundesregierung, Kinderarmut zu halbieren?
Eine Reform der Sozialhilfe darf nur gemeinsam mit der Einführung einer Kindergrundsicherung stattfinden. Unser oberstes Ziel muss es sein, Kinder zu schützen – denn wer Kinder von klein auf in Armut drängt, nimmt ihnen die Chance, der Armutsspirale jemals zu entkommen.
Integrationsbeitrag: Abbau statt Anreiz
Statt bisher 1209 Euro sollen arbeitsfähige Menschen während einer Integrationsphase nur noch 960 Euro erhalten. Das sind 250 Euro so genannter „Integrationsbeitrag“ weniger pro Monat.
Was als Anreiz verkauft wird, arbeiten zu gehen, trifft junge Erwachsene ohne Jobchancen, Asylberechtigte, die erst nach einem positiven Asylbescheid mit einer Arbeitssuche beginnen können, subsidiär Schutzberechtigte oder auch Auslandsösterreicher*innen. Hier werden Menschen für etwas bestraft, das sie gar nicht ändern konnten. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob diese Ungleichbehandlung überhaupt mit EU- und Verfassungsrecht vereinbar ist.
Die Realität ist ohnehin eine andere: 58 Prozent der Bezieher*innen sind Kinder, gesundheitlich eingeschränkt oder durch Betreuungspflichten gebunden. Sie können gar nicht in Arbeit gedrängt werden.
Integration: Pflicht ja, aber mit Angeboten
Für Integration ab dem ersten Tag braucht es etwas Entscheidendes, das heute oft fehlt: Angebote. Leicht zugängliche Sprachkurse fehlen vielerorts bis heute, insbesondere in ländlichen Gebieten. Ohne entsprechende Angebote, darf Integration nicht an den Zugang zur Sozialhilfe geknüpft werden. Der Staat darf Integration nicht durch fehlende Angebote selbst blockieren.
Oberösterreich verschärft noch zusätzlich
In Oberösterreich kommen weitere Härten hinzu. Schon beim ersten Pflichtverstoß (z.B. für die Bemühung um einen Arbeitsplatz) droht eine Kürzung um 30 Prozent, beim zweiten um 50 Prozent. Damit verliert die Sozialhilfe ihre Funktion als letztes soziales Auffangnetz.
Ziel der Sozialhilfe wäre ein menschenwürdiges Leben und Teilhabe an der Gesellschaft. Die Novellierung sorgt dafür, dass eine ohnehin verletzliche Gruppe noch stärker an den Rand gedrängt wird. Eine Verschärfung führt dazu, dass weniger Menschen Sozialhilfe beziehen - und damit auch ihre Krankenversicherung verlieren. Für das System entstehen so Folgekosten, die niemand einkalkuliert: Die Existenzgrundlage bricht weg, Delogierungen sind vorprogrammiert, mehr Menschen suchen Hilfe bei Sozialeinrichtungen in Oberösterreich.
Die vermeintlichen Einsparungen gehören dringend überprüft. Denn am Ende zahlen die Steuerzahler*innen drauf, wenn Kürzungen bei der Sozialhilfe nur höhere Kosten in anderen Bereichen verursachen. Schon jetzt zeigt sich der Trend: In unseren Caritas-Sozialberatungsstellen suchen um 25 Prozent mehr Menschen Hilfe als noch im Jahr 2020. Wer hier weiter kürzt, treibt Menschen in absolute Armut und macht sie dauerhaft abhängig.
Solidarität statt Spaltung
Sozialhilfe muss existenzsichernd werden. Menschen, die durch Krankheit, Jobverlust oder Schicksalsschläge in Not geraten, brauchen verlässliche Unterstützung.
Ein starker Sozialstaat ist die Grundlage für Würde und Zusammenhalt. Wenn wir beginnen, die Schwächsten gegeneinander auszuspielen, gefährden wir den sozialen Frieden. Österreich darf nicht in eine Solidaritätskrise schlittern.
