Julia hat es schwerer als viele andere Kinder. Sie ist schwer beeinträchtigt. Mit ihren sieben Jahren kann sie ein paar Schritte selbst laufen. Sie kann nicht sprechen und nicht selbständig essen. Mama Doris Speckmoser spricht über den Pflegeaufwand, Aufmerksamkeit für Geschwisterkinder und emotionalen Höhen und Tiefen.
Ich war gerade mit Manuel schwanger, als unsere Kinderärztin meinte, dass bei Julias Entwicklung etwas nicht in Ordnung ist. Ein Bluttest wurde gemacht. Ein paar Wochen später kam die Diagnose: 18q- und Pitt-Hopkins-Syndrom. Man will es nicht wahrhaben. Du hörst, was dein Kind alles nicht können wird – alle Vorstellungen und Erwartungen, die man hatte, zerplatzen. Davor hat man gedacht, vielleicht wird sie einmal Ballett machen, so wie ich. Plötzlich geht es um andere Ziele: Vielleicht kann sie irgendwann laufen. Es geht dann um die kleinen Schritte. Und darum, das Kind als die Person zu nehmen, die es ist.
Familienmanagement mit einem beeinträchtigten Kind…
…ist ganz viel Organisationsarbeit. Ich telefoniere sehr viel – während ich koche, während der Hausarbeit, immer mit Headset. Man vereinbart Termine für Therapien, Arztbesuche, die Schule. Verändert sich ein Termin, muss man die anderen verschieben. Man füllt Formulare aus, speichert Befunde ab und druckt sie für sämtliche Stellen aus. Die organisatorischen Belastungen sind die größte Herausforderung.
Wir möchten beiden Kinder gleich viel Zeit geben. Julias kleiner Bruder Manuel (5) fordert das auch aktiv ein. Zu Therapien und zur Reha muss er oft mitfahren. Wir schauen, dass er eigene Sachen machen kann – im Herbst hat er einen Schwimmkurs begonnen. Währenddessen bin ich mit Julia in einem anderen Becken oder sie bleibt beim Papa zuhause.
Die größte Unterstützung ist…
…der Austausch mit anderen Eltern, die in einer ähnlichen Situation sind. Wir sind in einer internationalen What’sApp-Gruppe und wir waren auch schon bei Treffen in Bregenz und Rom. Hoffnung gibt der Austausch mit Eltern, deren Kinder bereits älter sind. Da sieht man, dass auch Unmögliches möglich werden kann.
Bei der Chromosome-18-Conference in Rom waren Ärzte aus den USA dabei, die an den genetischen Syndromen von Chromosom 18 forschen. Dort haben wir viele Informationen bekommen – auch, dass sich Kinder mit 18q- besser entwickeln, wenn sie Wachstumshormone bekommen. So konnten wir vor vier Jahren mit Julia diese Hormontherapie beginnen.
Vom Caritas-Entlastungsangebot „Meander“ haben wir leider erst vor einem Jahr gehört. Wir waren bei einem Gruppenseminar und haben da eine ganz liebe Familie kennen gelernt, mit der wir jetzt befreundet sind. Und durch die begleiteten Einzelgespräche sehe ich Julia jetzt anders – auch mit ihren Bedürfnissen als 7-jähriges Mädchen.
Emotional ist es…
…eine Achterbahn. Man hat Phasen, wo es einem schlechter geht, und dann wird es wieder besser. Besonders wertvolle Erfahrungen machen wir jedes Mal in Italien: Dort gehen die Leute viel mehr auf beeinträchtigte Menschen zu. 1977 wurden Sonderschulen über Nacht abgeschafft und die integrative Schule ist dort die Regelschule. Integration ist in der Öffentlichkeit viel sichtbarer. Die Italiener gehen ganz offen auf Julia zu, streicheln sie und rufen „Ciao, Julia“. In Österreich können viele nicht damit umgehen, wenn sie einem beeinträchtigten Menschen begegnen.
Eine wertvolle Auszeit war…
…zum Beispiel eine Themenwoche in Lignano, die von Ärzten der Barmherzigen Schwestern organisiert wird. Die Kinder werden untertags betreut, während die Eltern Seminare besuchen. Dabei wird mit einem psychotherapeutischen Zugang der Blick jeweils auf einen anderen Aspekt gerichtet: die Partnerschaft, die Großeltern, etc. Dieser Fokus auf bestimmte Themen war in so mancher Hinsicht ein Augenöffner.
Eine Auszeit tut auch allen als „Pause“ gut, obwohl das im Alltag oft schwierig ist. Man ist ständig in Sorge, dass man nicht genug macht. Man ist nie „fertig“. Zuhause macht man sich immer Stress, dass man noch mehr üben sollte. Dabei ist es wichtig, dass das Kind auch Kind sein und einfach Spaß haben darf. Das ist eine Gratwanderung. Man möchte das Beste für sein Kind, aber man kann nicht von Therapie zu Therapie laufen.
Dringend notwendig ist…
…eine zentrale Stelle, wo man gesammelt Informationen bekommt. Wo muss ich um Pflegegeld ansuchen? Welche Therapien kann ich machen? Über die Eltern-Gruppe erhalten wir viele Informationen vor allem aus Deutschland. Dann informiere ich mich, wie es in Österreich ist.
Es gibt auch zu wenige Therapieplätze. Die Kapazitäten sind gering, die Wartezeiten lang. Wenn ich einen Vormittagstermin bekomme, muss ich Julia aus der Schule nehmen. Die Zeiten für Therapien sollten da bewusster geplant werden.
Spezielle Therapieformen werden von der Krankenkasse gar nicht unterstützt. Julia macht jetzt auch Feldenkrais-Therapie. Wir haben gemerkt, wie gut ihr diese Therapieform tut. Die Stiftung Kindertraum hat uns 40 Einheiten ermöglicht. Ohne Unterstützung sind solche Therapieformen aber für viele Familien oft nicht leistbar.
Viel Positives….
…haben wir im Kindergarten und in der Schule erlebt. Julia war in einer Integrationsgruppe im Kindergarten. Auch jetzt in der Schule wird sie in einer Integrationsklasse einzigartig unterstützt. Für Julia werden eigene Materialien erstellt und die LehrerInnen integrieren vieles aus der Therapie. Wir bekommen auch oft Fotos aus der Schule. So sehen wir, was Julia in der Schule macht, denn sie kann es uns ja leider nicht erzählen.
Der Kindergarten und die Schule waren das Beste was Julia passieren konnte – sie war im Kindergarten richtig glücklich und auch jetzt in der Schule strahlt sie nach jedem Schultag – das ist richtig schön für uns, wenn wir sehen mit wieviel Freude sie dort ist!
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Entlastung für Eltern
Meander ist die „Tankstelle für die Seele“ in St. Isidor. Es fördert die seelische Gesundheit von Familien mit einem beeinträchtigten Kind mit Beratungsgesprächen, Entspannungsgruppen, Gesprächsrunden und Angeboten für Geschwisterkindern.