Mit Streetfood tischen Jugendliche ihre Qualitäten auf

Wenn der „SPEISEWAGEN“ seine Tore öffnet, werden mehr als nur kulinarische Leckerbissen aufgetischt. Das österreichweit einzigartige Projekt bereichert die Kochausbildung der Caritas in Linz, wo Jugendliche mit Beeinträchtigung auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden.

Der Linzer Domplatz flimmert in der Hitze. Aus dem Dom strömen Wasserfontänen – eine Kunstinstallation des Höhenrausches, die an diesem Juli-Tag sehr willkommen ist. Heiß her geht es aber auch einige Meter abseits des kühlen Nasses. Ein schwarzer Klein-LKW steht im Zentrum des Domplatzes. Darin werden die Pfannen geschwenkt, Salate und Smoothies gemixt und das Gulasch gerührt. Und ganz viel gescherzt. Dass es in dem kleinen Gefährt noch einmal einige Grad heißer ist, stört die Besatzung nicht.

Gut gelaunt bringt die 18-jährige Sophie das Angebot der mobilen Küche an die Frau – und auch an den einen oder anderen Mann. „Ein Rindsgulasch oder ein Zucchinigulasch haben wir heute“, ruft sie den Spazierenden entgegen. Eine ältere Dame bleibt stehen und überlegt. „Ich habe noch nie ein Zucchinigulasch gegessen“, meint sie. Und entscheidet sich – doch – für das Rindsgulasch.

WEG ZUR INKLUSION

Qualitativ hochwertiges Essen kommt seit Jahren aus den Lehrküchen von St. Elisabeth. Jugendliche mit Beeinträchtigung gehen hier einen Orientierungsprozess durch, bei dem sie in verschiedene Arbeitsbereiche hineinschnuppern und auf den Arbeitsmarkt vorbereitet werden. Erstmals geht die Ausbildung nun hinaus zu den Menschen in die Gesellschaft. Inklusion wird selbst in die Hand genommen.

Vier bis sechs mal wöchentlich fährt der Speisewagen verschiedene Plätze in Linz an – manchmal auch in Steyr, Vöcklabruck oder anderen Gegenden – und bietet hausgemachte, regionale Gaumenkitzler feil. Für die Jugendlichen eine Erfahrung der anderen Art, weiß Mag. (FH) Roman Braun-Hüttner, Leiter der Abteilung „Ausbildung“. Für sie geht es darum, über den Tellerrand zu schauen. „Durch den Speisewagen müssen die Jugendlichen mit Leuten in Kontakt treten und mit ihnen reden“, erklärt er. „Viele von ihnen sind schüchtern. Da ist das Projekt ein gutes Lernfeld für sie, denn sie bekommen sofort gespiegelt, wie sie nach außen hin wirken.“

ZWISCHEN MENSCH UND WIRTSCHAFT

Sophie ist eine Ausnahme – und ganz in ihrem Element. Mit ihrer offenen Art könnte man sie sofort in ein Restaurant stellen. Wenn bei einem Festival jemand zum siebten Mal vorbeigeht und Sophie ihm zum siebten Mal ein Essen offeriert, muss Koch Dieter Thalhammer die Jugendliche eher zurückhalten. Der 49-Jährige fährt beim Foodtruck stets mit, leitet die Jugendlichen an und kümmert sich nicht nur um ihre Ausbildung, sondern auch ihr Wohlbefinden. „Ece, du gibst die Zeit vor“, sagt er zu dem zweiten Mädchen, das an diesem Tag mit dabei ist. Die 17-Jährige mixt die Smoothies und mariniert den Salat. „Wenn du zwei Sekunden länger brauchst, dann warten die Leute eben.“

Das Tempo ist anders, als Thalhammer es gewohnt ist. Seit 34 Jahren arbeitet er in der Gastronomie. Ein hartes Pflaster, in das Thalhammer mehr Menschlichkeit einbringen wollte. Als Küchenchef ließ er unterbezahlte Kräfte nie nach Maximalzeit ihrer All-in-Verträge arbeiten. Nun landete er beim Speisewagen und passt wie der Deckel auf den Topf. Mit Jugendlichen konnte er schon immer gut, bereits als er Lehrlinge ausbildete. Bei den beeinträchtigten Jugendlichen läuft es ähnlich – nur mit mehr Erklärungen und langsamer. Darauf stellt er sich ein – und freut sich, für eine Sache zu arbeiten, bei der nicht der ökonomische Aspekt im Vordergrund steht, sondern die Zukunft der Jugendlichen, die er anleitet und denen er den Feinschliff für den Umgang mit den Leuten gibt.

Wirtschaftlich auf eigenen Beinen stehen soll der Speisewagen nach der Anlaufzeit dennoch. Für eineinhalb Jahre ist das Projekt durch eine „Anschubfinanzierung“ des „Bundesministeriums für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort“ sowie durch die großzügige Spende einer Privatperson finanziert. Danach muss der Speisewagen schwarze Zahlen schreiben. Aktuell köchelt er noch auf kleinerer Flamme. Rund 30 Portionen gehen am Domplatz innerhalb der zwei Stunden zur Mittagszeit weg. Um wirtschaftlich zu sein, sollen es mindestens 100 werden. Dafür will man bei Firmen zur Jausen- und Mittagsverpflegung andocken. Wer keine eigene Kantine hat und seinen MitarbeiterInnen zur Abwechslung etwas anderes bieten will als den täglichen Bäckerbesuch, kann den Speisewagen buchen. Gegrilltes wie Kotelett und Würstchen werden direkt im Wagen zubereitet. Pastagerichte, Gröstl und selbst kreierte Burger mit Ripperlfleisch und vieles mehr bereitet die Gruppe vorab in St. Elisabeth vor. Bei den zwei täglich wechselnden Menüs wird besonders auf saisonale und regionale Zutaten geachtet.

FLÜGGE WERDEN

Der Schritt hinaus in den Linzer Stadtalltag setzt von den Jugendlichen auch mehr Selbständigkeit voraus. Während in den Lehrküchen immer jemand zum Draufschauen da ist, sind sie beim Speisewagen professionelle Dienstleister. Das geht mit Erwartungen einher, stärkt aber auch ihr Selbstbewusstsein. Sie reichen das Essen den Leuten auf der Straße hinunter – ein Perspektivenwechsel, den sie nicht gewohnt sind. Aber durch’s Essen kommen die Leute zusammen – und der Speisewagen bringt Menschen mit Beeinträchtigungen, die oft in der Gesellschaft weniger sichtbar sind, mitten unter die Leute. In diesem Fall sind es Jugendliche, die zum Beispiel eine Lernschwäche haben, die sich in der Schule mit Mathematik schwer taten, wie Ece, oder mit Deutsch, wie Sophie. Die etwas langsamer sind, aber ihre Qualitäten in anderen Bereichen haben – und sie mit dem Speisewagen auftischen können. Es zeigt sich oft in kleinen Dingen, wie in Sophies Aufmerksamkeit, wenn ihr nebenbei auffällt, dass die Servietten ausgehen, und sie diese selbständig nachfüllt. Oder wenn Ece ohne Anweisungen die Spätzle schwenkt, während Dieter Thalhammer serviert, und Kassierarbeiten übernimmt, obwohl sie Schwierigkeiten mit Mathe hat – und es auch funktioniert. Mit der richtigen Unterstützung können sie ihre Fähigkeiten einsetzen und einen Platz in der Gesellschaft finden, wo sie nicht nur mittendrin sind, sondern auch ihre eigene Würze dazugeben können.

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