Warten auf ein selbstbestimmtes Leben

Sie pflegen, tragen, begleiten – ein Leben lang. Viele Eltern von Menschen mit Beeinträchtigungen wachsen über ihre Kräfte hinaus, weil ein Wohnplatz jahrelang auf sich warten lässt. Erst wenn sie überfordert sind, rückt ihr erwachsenes Kind auf der Prioritätenliste nach oben. Was bleibt, ist Erschöpfung – und die Frage: Warum bleibt die Unterstützung so lange aus?

Josef Dorn sitzt in der Küche seines WG-Zimmers in Andorf und trinkt einen Kaffee. „Mir gefällt’s hier“, sagt er. Es ist ein Satz, der viel bedeutet – für ihn, für seine Eltern und für ein ganzes System.

Denn bis vor einem Jahr lebte der heute 51-Jährige noch bei seinen Eltern. Seit seinem schweren Verkehrsunfall mit 25 sitzt er im Rollstuhl. Die linke Hand kann er nicht mehr bewegen. Durch eine Schädigung der Nerven konnte er acht Jahre lang nicht sprechen.

Zwei Menschen hielten sein Leben zusammen: seine Mutter und sein Vater – selbst längst im Pensionsalter. Sie pflegten ihn, begleiteten ihn zu Therapien, organisierten Urlaube – 26 Jahre lang, ohne Unterbrechung.

„Aber es geht einfach nicht mehr“, gesteht Josef Dorn senior. Er ist 81 Jahre alt.

Es ist kein Einzelfall, sondern Alltag in Oberösterreich: Menschen mit Beeinträchtigungen warten viele Jahre, oft Jahrzehnte, auf einen geeigneten Wohnplatz. Die Eltern bleiben Hauptpflegepersonen – bis zur Erschöpfung.

Wenn Eltern ihre erwachsenen Kinder pflegen

„Die Eltern warten oft Jahre darauf, dass ihre erwachsenen Kinder einen Platz in einer betreuten WG bekommen“, erklärt Josef Ratzenböck, Leiter der Abteilung Wohnen für Menschen mit Beeinträchtigungen in der Caritas OÖ. Fallweise dauert die Betreuung bis zu 40 Jahre. Erst wenn die Eltern nicht mehr können, wenn der Bedarf akut wird, rücken ihre Kinder auf der Prioritätenliste nach oben.

So ging es auch Familie Dorn aus Taufkirchen an der Pram. Nach dem Unfall von Sohn Josef richteten seine Eltern ihr Leben vollständig auf ihn aus: Sie fuhren mit ihm mehrmals wöchentlich zu Therapien, zur Reha, machten Ausflüge mit ihm - alles parallel zur Berufstätigkeit. Sie suchten beharrlich nach Therapien gegen den Verlust der Sprache – bis eine schließlich half.

Vor elf Jahren beantragten sie einen Wohnplatz – vorausschauend, da sie um die lange Wartezeit wussten. Erst im vergangenen Jahr wurde einer frei. „Wir waren völlig ausgelaugt“, erzählt Josef Dorn senior. Das regelmäßige Heben des Sohnes, die Pflege – bei allem mussten er und seine Frau zusammenhelfen. Wurde einer von ihnen krank, wurde es kritisch.

In 25 Jahren waren sie nur einmal ohne ihren Sohn auf Urlaub. Allein dafür einen Kurzzeitpflegeplatz zu finden, war eine Herausforderung.

Als Josef schließlich in das Wohnen Andorf zog, war das für die Eltern eine riesige Erleichterung. „Er fühlt sich dort wohl“, sagt der Vater. „Das ist wichtig - denn ein Wohnplatzwechsel wäre schlicht nicht möglich.“

Neue Plätze – aber nicht genug

Aktuell arbeitet das Land daran, mehr Wohnplätze frei zu machen. In der Initiative „passgenauer Wohnplatz für Menschen mit Beeinträchtigungen“ werden bestehende Strukturen überdacht: Wer ist selbständig genug, um in eine kostengünstigere, teilbetreute Wohnform zu wechseln? So sollen bis 2027 jährlich 100 neue Plätze freiwerden. „Das lindert den Druck, löst aber das Grundproblem nicht“, ist Ratzenböck überzeugt.

Besonders dramatisch wird es auch, wenn Eltern plötzlich ins Krankenhaus müssen oder sterben. „Dann kommt das Kind spontan von heute auf morgen in eine betreute Wohnform - und muss nicht mit der neuen Örtlichkeit, sondern auch mit dem abrupten Beziehungsabbruch umgehen.“

Zusätzlich zu mehr Plätzen pocht Josef Ratzenböck auch auf mehr Wahlmöglichkeiten für Menschen mit Beeinträchtigungen: „Wenn man sich an einem Ort nicht wohlfühlt, muss ein Wechsel möglich sein. Manche wohnen zwanzig, dreißig oder vierzig Jahre am selben Platz – oft ohne die Möglichkeit, den Wohnplatz zu wechseln.“

Was es braucht, sei mehr Flexibilität und Durchlässigkeit auch seitens des Landes – und vor allem die Beteiligung, das Fragen um die Sichtweise der Betroffenen selbst. „Menschen mit Beeinträchtigungen müssen mitentscheiden dürfen, wenn es um ihr Leben, um ihren begleiteten Wohnplatz geht.“

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