Soziologin Brigitte Aulenbacher erläutert im Interview, welche Faktoren die Wertigkeit der sozialen Arbeit beeinflussen und was es für Veränderung braucht.
Warum fehlt der sozialen Arbeit, v.a. im Vergleich zur Wirtschaft, oft die gesellschaftliche Anerkennung?
Aulenbacher: „Moderne kapitalistische Gesellschaften zielen auf wirtschaftliches Wachstum und wissenschaftlich-technologischen Fortschritt. Der moderne Mensch ist dieser Vorstellung nach in der Lage, für sich selbst zu sorgen und das eigene Leben wie die weitere Natur zu beherrschen. In der Folge wird das, was wirtschaftlich, wissenschaftlich, technologisch mit Fortschritt, Naturbeherrschung, Wachstum verbunden wird, hoch gewertet, ausgedrückt etwa im Prestige von Berufen oder hohen Einkommen, z.B. in Hochtechnologiebereichen.
Fürsorgebedürftigkeit hat hier wenig Raum, Sorgearbeit wenig Wertigkeit. Die Notwendigkeit von Sorgearbeit für das Leben der Menschen oder ihre ‚Systemrelevanz‘ für die Wirtschaft fallen – wie in der Covid-19-Pandemie – dann auf, wenn Sorgeleistungen wegzubrechen drohen.“
Welche Rolle spielt dabei die oft weibliche Besetzung der sozialen Arbeit?
Aulenbacher: „Die geringe Bewertung der Sorgearbeit und ihre unbezahlte oder gering bezahlte Verrichtung vor allem durch Frauen greifen direkt ineinander. Zum einen werden Frauen Eigenschaften zugeschrieben wie Feinfühligkeit oder Empfindsamkeit, die sie wie scheinbar natürlich geeignet für die Arbeit machen - was die erforderliche Professionalität verdeckt. Gefühle und der professionelle Umgang mit Gefühlen sind aber zwei ganz verschiedene Dinge. Zum anderen erfahren körperliche Schwerarbeit oder rationale Planung bzw. lange Ausbildungszeiten keine zu Feldern der Männerbeschäftigung vergleichbare Anerkennung.“
Ist die Leistungsgesellschaft dabei auch ein ausschlaggebender Faktor?
Aulenbacher: „Die belastenden Arbeitsbedingungen blockieren den Aufstieg über Leistung – darüber, sich im Sinne des Leistungsprinzips als besonders fähig und erfolgreich zu erweisen. Viele Beschäftigte arbeiten in Teilzeit, um die Arbeitsintensität zu verkraften. Fluktuation bzw. Kündigungsbereitschaft sind hoch, Aufstiegspositionen hingegen nicht zahlreich. Die Managerialisierung und Akademisierung des sozialen Sektors schafft zwar neue Führungspositionen, aber dort geht es dann um die zusehends betriebswirtschaftlichere Organisation der Abläufe oder neue Tätigkeiten.“
Aus wirtschaftlicher Sicht: Die Ökonomie lebt von Arbeitsteilung. Dementsprechend müsste die soziale Arbeit, die sich in ihren Bereichen (Altenpflege, Kinderbetreuung, Nothilfe, etc.) hochspezialisiert hat, gut in dieses System einfügen. Warum ist sie dennoch außen vor?
Aulenbacher: „Die Sorgearbeit ist nicht außen vor, sondern in der Wirtschaft angekommen. Krankenpflege und Altenbetreuung werden zusehends privatwirtschaftlich organisiert, was auch die öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Einrichtungen unter Wettbewerbsdruck setzt. In diesen Bereichen und in der Kinderbetreuung entstehen seit geraumer Zeit neue Konflikte um Leistung: Betriebswirtschaftliche Kriterien werden wichtiger, was mit der Rationalisierung von Sorgearbeit einhergeht. Ökonomische Anforderungen und die Ablauforganisation schlagen vermittelt, z.B. über Betreuungsschlüssel oder Zeitvorgaben, auf die Arbeit mit den Betreuten durch und geraten in Konflikt zu berufs- und professions-ethischen Ansprüchen. Für z.B. aufwändige Mobilisierung von eingeschränkt bewegungsfähigen Menschen oder für das alltäglich wichtige Gespräch mit den Betreuten fehlt die Zeit. Neben der Betreuung der Kinder auch noch neue Ziele wie ihre Bildung zu verfolgen ist bei gegebenen Gruppengrößen kaum möglich.“
Ist diese Wertigkeit und wo sie herkommt spezifisch österreichisch?
Aulenbacher: „Österreich unterscheidet sich nicht von anderen modernen kapitalistischen Gesellschaften, was die grundsätzliche Geringbewertung der Sorgearbeit angeht. In der Organisation der Sorgearbeit unterscheiden sich die europäischen Gesellschaften sehr. In Österreich gilt in der Altenbetreuung recht ungebrochen: häuslich vor ambulant vor stationär, während in der Kinderbetreuung der Staat zusehends in die Pflicht genommen wird...
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