Kimberly (li.) hilft ehrenamtlich im Tageszentrum FRIDA. Gemeinsam mit Sozialarbeiterin Carina Jaksch unterstützt sie Frauen, die obdachlos oder von Obdachlosigkeit bedroht sind.

Ankommen, einkehren, auftanken

Der Weg aus der Obdachlosigkeit gleicht dem Aufstieg aus einem tiefen Tal. Das Tageszentrum FRIDA begleitet Frauen dabei. Die Sozialarbeiterinnen stehen ihnen zur Seite, wenn sie die ersten Schritte setzen und gehen mit ihnen, bis sie über den Berg sind.

Mit 29 hatte Bettina keinen Bock mehr. „Ich hab gesoffen wie ein Loch“, erinnert sie sich. „Ich wollte keine Verantwortung mehr und mich um nichts mehr scheren.“ Eine Wohnung zu haben, mit ständigen Strom- und Heizungskosten, Monteursarbeiten, wo immer etwas anfiel – das war ihr zu viel. Sie wurde obdachlos. Eineinhalb Jahre lebte sie auf der Straße. Halt fand sie in einer kleinen Gruppe von sieben, acht Leuten. Dort kümmerte man sich umeinander, schaute aufeinander. Die Verantwortung reduzierte sich darauf, ein wenig Essen zu finden - in der Wärmestube, beim Of(f)n Stüberl, im Tageszentrum Frida – und einen Platz für ihren Schlafsack. Nach eineinhalb Jahren wurde sie „Szene-müde“. Langsam kam der Wunsch, ihrem Leben in eine Wendung zu geben.

Selbstbestimmte Kehrtwende

Klaus Schwarzgruber, Leiter der Wärmestube und des Tageszentrums FRIDA, kennt das Phänomen der Szene-Müdigkeit. Er sieht es als „Gelegenheitsfenster“. „An diesem Punkt kann man als Sozialarbeiter Veränderung bewirken, weil die Bereitschaft da ist“, sagt er. „Ohne diese Bereitschaft begleitet man nur den Alltag – den Alkohol und das Abstürzen.“

Immer, wenn Bettina in die Wärmestube oder ins Tageszentrum FRIDA kam, redete er mit ihr. „Er hat mir gesagt, ich soll mein Leben in den Griff bekommen“, erinnert sie sich. Sie habe ihn weggeschickt und gemeint, er solle das seiner Frau sagen. „Die hat ja eine Wohnung“, hatte er dann nur erwidert.

Mehrere Monate Beziehungsarbeit stecken dahinter, bis die Sozialarbeiter*innen in der Wärmestube und bei FRIDA die Menschen offen und direkt dazu anstoßen können, andere Schritte in ihrem Leben zu setzen. Bis dieser Punkt erreicht ist, sind die beiden Tageszentren vor allem eines: ein Ort, wo man einfach sein kann. Es gibt keinen Zwang, ins Büro zu kommen und sich beraten zu lassen. Die Menschen entscheiden selbst, wann sie bereit sind, Schritte zu setzen. Und sie wissen: Wenn der Zeitpunkt gekommen ist, ist jemand für sie da, der ihnen dabei hilft.

Insbesondere für die Frauen ist das Tageszentrum FRIDA wichtig. Es ist ein Rückzugsort für Frauen, die wohnungslos oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind. Es gibt hier immer einen Kaffee und Frühstück: Semmeln, Käse, manchmal ein Ei. Ein Drittel der Frauen, die in dem kleinen Raum sitzen, lebt auf der Straße. Der Rest hat oft eine kleine Wohnung und kommt wegen dem Sozialkontakt. Wo andere ins Café gehen und sich ein Frühstück kaufen, kommen sie zu FRIDA.

Wohnungssuche mit Hindernissen

Bei FRIDA merken die Sozialarbeiterinnen besonders stark, dass Frauen mit dem Thema Obdachlosigkeit viel schambehafteter umgehen. Fragt man nebenan in der Wärmestube, erzählen die Männer frei von der Seele, was sie hierher gebracht hat. Bei den Frauen ist das anders. Viele öffnen sich gar nicht. Andere brauchen lange, bis sie etwas preisgeben.

„Ich schäme mich so“, sagt Monika, wenn sie an ihre Vergangenheit denkt. Seit acht Jahren lebt sie auf der Straße. Ihr Hab und Gut passt in zwei Taschen. Sie gibt nur wenig von sich preis. Auch sie kippte in den Alkohol, verschuldete sich. Den Blick von Männer kann sie nicht ertragen.

„Hier bekomme ich Wärme“, sagt sie dankbar. Sie kommt ins Tageszentrum zum Duschen, Essen und nutzt die Nähmaschine, um sich ihre Kleidung enger zu nähen. Jeden Mittwoch wird gekocht. An diesem Tag gibt es Knödel. Monika isst eine Portion. Von dem, was übrig bleibt, packt sie sich etwas ein. „Das reicht mir für die nächsten vier Tage“, sagt sie.

Auch Tara kommt zum Duschen ins Tageszentrum. Fast jeden Tag ist sie hier. Früher betreute sie Privatkunden bei einer Bank. Sie machte sich selbständig, wurde insolvent. War mitten im Schuldenregulierungsverfahren, fand keinen Job. Kurz arbeitete sie im Ausland, kam zurück nach Österreich und kam nicht mehr auf die Füße. Seit eineinhalb Jahren ist sie obdachlos. Sie schläft am Bahnhof, in Parks, bei einer Kapelle. Untertags ist sie eng getaktet, tippt Bewerbungen am Computer, geht ins Jobcenter. Ohne Wohnadresse hat sie wenig Aussicht auf einen Job, doch um die Sozialhilfe weiter zu erhalten, muss sie die Bewerbungen als „Mitwirkungspflicht“ vorweisen.

Klaus Schwarzgruber sieht in dieser Situation andere Bedarfe: „Das Wichtigste ist an diesem Punkt die Stabilisierung. Mit Tara versuchen wir aktuell, dass sie bis Oktober eine Wohnung bekommt, damit sie im kältesten Winter weg ist von der Straße.“ Bei knapp einem Dutzend Menschen ist er aktuell dran, dass sie diesen wichtigen Schritt von der Straße in eine Wohnung schaffen. Und auch die psychische Stabilisierung ist ein Punkt. Eine so lange Obdachlosigkeit wirkt sich aus. Erst dann macht es auch Sinn, das Thema Arbeit aufzugreifen.

Schutz vor dem Rückfall

Bei Bettina gelang der Sprung. Auf eineinhalb Jahre Obdachlosigkeit folgten vier Jahre Wohnungslosigkeit, in denen sie in Notschlafstellen und Wohnungslosen-Quartieren übernachtete. Seit drei Jahren hat sie eine Wohnung mit 36m2. „Die Wohnung zu bekommen war wirklich schwer“, erinnert sie sich. „Wenn du auf der Straße gelebt hast, gibt dir niemand eine Wohnung.“ Für das erste Jahr übernahm daher die Caritas die Bürgschaft.

„Im Vergleich zum Leben auf der Straße ist das jetzt viel mehr finanzielle Verantwortung“, gesteht Bettina. „Dafür bin ich auch freier: Ich kann mir das warme Wasser aufdrehen, wann immer ich will. Ich kann mir einen Kaffee machen. Ich habe Licht in der Nacht.“ Verantwortung hat sie auch für die schwarze Katze übernommen, die nun bei ihr lebt. Wobei sie die nicht als Verantwortung sieht. „Die ist Gesellschaft.“

Noch immer kommt Bettina fast jeden zweiten Tag ins Tageszentrum, zumindest auf einen Kaffee. Vom Alkohol ist sie weg. Drei Monate ging sie in Langzeittherapie. Nun will sie auch die Medikamente reduzieren, die sie noch nehmen muss. So wie sie halten viele Frauen nach den ersten wichtigen Schritten in ein anderes Leben noch lange Kontakt zu FRIDA.

Für Klaus Schwarzgruber ist das ein wesentlicher Teil der begleitenden Sozialarbeit: „Wenn ich aus dem ganz tiefen Tal herausgestiegen bin, bin ich noch nicht am Berg“, sagt er. „Wir sind bei diesem Aufstieg die Ruhehütte zum Auftanken.“

Die Frauen bleiben in Verbindung, weil sie dadurch die Sicherheit haben, dass sie nicht wieder abstürzen. Hier wird ihnen ehrlich und direkt gesagt, wenn sie wieder die falsche Richtung einschlagen - den Weg ins Tal.

 

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