60 Jahre Logopädie: Gesellschaftliche Veränderungen wirken sich auf Sprachentwicklung von Kindern aus

Die Caritas setzte als erste Institution Oberösterreichs vor 60 Jahren eine ausgebildete „Sprachheilkindergärtnerin“ ein. Heute ermöglichen 17 Logopädinnen der Caritas mehr als 600 Kindern in überwiegend kirchlichen Kindergärten in Oberösterreich ein logopädisches Therapieangebot. Im vergangenen Arbeitsjahr 2020/2021 wurden 4.615 Kinder mittels standardisiertem Screeningverfahren auf Sprachprobleme getestet. Mehr als 32 Prozent der 4-bis 5-Jährigen zeigten Auffälligkeiten, die eine sofortige Therapie erfordern.

„Sprach- und Sprechstörungen wie Stottern oder Lispeln hat es immer schon gegeben. Früher galt allerdings die landläufige Meinung, dass sich das schon ‚auswachsen‘ würde“, berichtet Barbara Kraxberger, Leiterin der Logopädie bei der Caritas OÖ. Heute gehen Eltern, Kindergärtner*innen und Ärzte viel sensibler mit Sprach- und Sprechproblemen um. Es besteht eine viel umfassendere und ganzheitlichere Sicht auf Sprache, als noch vor 60 Jahren. „Wir achten unter anderem darauf, ob ein Kind bei der Lautbildung und beim Satzbau Fehler macht, ob es stottert, Probleme beim richtigen Hören hat oder ob bei ihm Störungen im Atem- und Stimmbereich auftreten“, erklärt Barbara Kraxberger. Der Bereich der kindlichen Sprachentwicklung ist viel genauer erforscht und die therapeutischen Zugänge und Diagnosemöglichkeiten haben sich dementsprechend gewandelt und rasant entwickelt.

Die Sprach- und Sprechprobleme haben sich in den letzten Jahrzehnten verändert. „Der Grund liegt u.a. in der gesellschaftlichen Veränderung, die sich auch auf die Sprach- und Sprechentwicklung auswirkt“, erklärt Logopädin Barbara Kraxberger. Das Fehlen von Großfamilien, in denen immer jemand zum Reden da war, und weniger Bewegungsmöglichkeiten sind nur zwei der Gründe, die zu Entwicklungsproblemen führen können. Auch weniger Sinneserfahrungen, weil beispielsweise die Kinder vorwiegend mit dem Auto transportiert werden anstatt selber zu laufen, zu hüpfen oder zu balancieren, haben Auswirkungen auf die Sprache. Selbst das geänderte Essverhalten hat Auswirkungen. Durch zu viel an weicher Nahrung wird weniger gekaut und die Muskeln im Mundbereich erfahren weniger Anregung. Dazu kommen der vermehrte Gebrauch von Schnullern und Fläschchen sowie der erhöhte Medienkonsum, die Reizüberflutung, schon bei kleinsten Kindern. Die neuen Medien sind allerdings nicht nur Fluch, sondern auch Segen. „Es gibt dadurch viel mehr pädagogisch-therapeutisches Material bzw. technische Hilfsmittel wie z.B. iPads, Taster oder Sprach-Apps“, erklärt Kraxberger. Besonders im Bereich der unterstützten Kommunikation, welche bei Kindern, die keine Lautsprache erwerben können, eingesetzt wird, gab es in den letzten Jahrzehnten große technische Entwicklungssprünge.

Um Problemen mit dem Sprechen entgegen zu wirken, gibt es seit 1996 in Oberösterreichs Kindergärten flächendeckendes logopädisches Screening, welches die Logopädinnen der Caritas OÖ, der Volkshilfe Gesundheits- und Soziale Dienste GmbH und der Magistrate im Auftrag vom Land OÖ durchführen. Dabei wird festgestellt, ob die sprachliche Entwicklung der 4- bis 5- jährigen Kinder altersgemäß ist.

Bei rund 27% der Kinder kommt das „wait and watch“-Prinzip zur Anwendung, das bedeutet es findet im Anschluss an das Screening ein ausführliches Beratungsgespräch der Erziehungsberechtigten statt mit einer Anleitung der Eltern für Übungen zu Hause und der Option auf einen Kontrolltermin. „Dieses Service wird kostenlos angeboten und von den Eltern sehr gerne angenommen. Im abgelaufenen Arbeitsjahr folgten 93 Prozent der Eltern dieser Einladung zu einem persönlichen Gespräch.“

Bei 63 Prozent der Kinder konnte Sprachauffälligkeit behoben werden

Im Arbeitsjahr 2020/2021 konnten 519 Kinder zur regelmäßigen logopädischen Therapie in Linz oder an einem der weiteren 34 Standorte in ganz OÖ aufgenommen werden. Bei 84 Kindern fand entweder nur eine einmalige Befundung mit Beratungsgespräch oder eine  Intervalltherapie statt. Der Bedarf an Therapieplätzen ist ungleich höher. Die Wartelisten sind sehr lange, die finanziellen und personellen Ressourcen leider sehr begrenzt.

„Trotz der erschwerten Bedingungen durch die Pandemiesituation  konnte bei 63 Prozent der Kinder die Sprachauffälligkeit zur Gänze behoben oder soweit vermindert werden, dass eine logopädische Therapie nicht mehr nötig war“, schildert Barbara Kraxberger den Betreuungserfolg.